Mit der Hilfe des Himmels


Psychoanalyse der Judenmission



    Woher kommt das christliche Begehren, Juden zum christlichen Glauben zu bekehren?

    Die Judenmission ist nicht allein ein theologisches Thema. Man kann sie auch in anderer Perspektive sehen, politisch-historisch und gesellschaftlich etwa – aber auch psychoanalytisch. Kurt Oesterle sprach mit dem Tübinger Arzt und Therapeuten Christoph Biermann darüber, was die Judenmission und der zur Zeit in Tübingen tobende Streit dem tiefenpsychologisch geschulten Auge verrät. Biermann, 63, praktiziert seit vielen Jahren als Analytiker in Tübingen, war lange Zeit in der Friedensarbeit tätig, ist praktizierender Christ und war lange Jahre Kirchengemeinderat.

    »All diese vom Christentum verübten Untaten«

    Christoph Biermann bettet das Phänomen Judenmission in den größeren Zusammenhang jener Schuld ein, die das Christentum im Lauf seiner 2000-jährigen Geschichte auf sich geladen hat: Judenfeindschaft in allen Kategorien, Glaubenskriege, Kreuzzüge, Inquisition oder Hexenprozesse. »All diese vom Christentum verübten Untaten wurden meistens mit einem subjektiv guten Gewissen ausgeführt.« Das treffe auch auf die Missionierung von Juden und anderen Andersgläubigen zu. Doch bis zum Holocaust habe die Kirche – gemeint sind damit alle Konfessionen christlichen Glaubens – sich so gut wie nie mit den von ihr verursachten Desastern auseinander gesetzt.

    Das gute Gewissen, total im Recht zu sein und »nur« Gottes Befehle ausgeführt zu haben, sei jedoch nicht alles. Von den kollektiven Gewaltexzessen des Christentums bleibe eine untrügliche Spur im Unbewussten zurück, eine »Schuld, die nicht voll bewusst werden kann«, selbst über Generationengrenzen hinweg. Der Grund für diese Schuld dürfte wohl darin zu suchen sein, dass das Christentum auch dort, wo es mit felsenfest geglaubtem Recht seine Brutalitäten verübte, zugleich gegen eines seiner stärksten Gebote verstieß: Das Gebot der Nächstenliebe. Ein Problem waren nach den Exzessen freilich immer diejenigen, die christliche Gewalt überlebt haben. Sie mussten als potentielle Zeugen mundtot gemacht werden, »oder man verdächtigte sie, die eigentlich Schuldigen an der christlichen Gewalt zu sein«.

    Antijudaismus – »Grundgelegt im Neuen Testament«

    Was die Juden betrifft, so war in christlich-kirchlicher Sicht vor allem ihr »Christusmord« und ihre »Verstockung« gegen die frohe Botschaft daran schuld, wenn man sie misshandeln, zwangstaufen und anderweitig verfolgen musste. Der Antijudaismus, »grundgelegt im Neuen Testament«, erscheint Biermann übrigens als das »Urmodell«, nach dem alle späteren gewaltbesetzten Feindbilder des Christentums gearbeitet sind. »Und hier nun«, sagt Biermann, »bekommt die Judenmission ihre fatale Bedeutung für das Christentum. Mir scheint, die Juden sollen durch ihre Bekehrung zum Christentum ihrerseits bestätigen, dass sie selbst und nicht die Christen schuld sind am großen Desaster des christlichen Antijudaismus.« Die Gewissensbisse der Christen angesichts ihrer Schuld erforderten zu ihrer Besänftigung eine Art »Reinigungs-Therapie durch Selbstanschuldigung der zu bekehrenden oder bekehrten Juden«.

    Der Drang zur Judenmission mutet den Psychoanalytiker aber auch an wie ein »schwer deformierter Kontaktversuch« von Christen mit dem Volk Israel. Er vermutet, dass bei Menschen mit diesem Drang die »Gewissensbildung lückenhaft« geblieben ist – daher auch müssten sie ihre Kritiker mit so furchtbaren Vorwürfen wie »Hexenjagd« überziehen, wie man es derzeit in manchen Leserbriefen sehe. »Sie schreien diesen Kritikern all das entgegen, was das Christentum in 2000 Jahren selbst verbrochen hat«, sagt er. Dem tiefenpsychologischen Blick zeigt sich das Verlangen, Juden zu taufen, als etwas zutiefst Zwanghaftes, in dem eine Waschung oder sonstige Selbstsäuberung vollzogen werden soll. Biermann: »So reibt und reibt man an einem Fleck, der nicht weggehen will.« Das mit Vehemenz angesteuerte Ziel der Judenmission sei am Ende die ersehnte Entlastung von der eigenen unbewussten Schuld.

    Diese Strategie einer gleichsam freilaufenden Bearbeitung könne aber auf Dauer nur scheitern. Abhilfe und Erleichterung bringt nach Biermann einzig eine echten Sinn stiftende Umlenkung der dahinter andrängenden Energien: Statt Judenmission ein Engagement für die Bürgergesellschaft oder Missionsdienste für den Frieden in der Welt.

    Juden und Judentum. Gegen Judenmission




Jüdische Weisheit


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